Wie vom Met Office zuverlässig vorhergesagt, hat es heute Nacht geregnet, aber am Morgen hört es lange genug auf, um zu frühstücken und die Sachen zusammen zu packen. Wir richten uns auf einen anstrengenden Tag ein: mindestens 30 Kilometer laufen, ordentlich Berge und mieses Wetter.
Vom Campingplatz muss man erst wieder durch den kompletten Ort durch und dann führt der Weg ein ganzes Stück an der vielbefahrenen A82 entlang. Bevor wir in den Wald eintauchen, wird zur Rechten noch einmal die Sicht auf Urquhart Castle am Loch Ness frei, über dem tiefhängende Nebelschleier wabern.
Dann geht es stetig bergan bis auf etwa 320 Meter. Der Weg folgt heute nicht mehr dem Great Glen, also dem Verlauf der Lochs, sondern orientiert sich an alten Viehtreiberpfaden durch das Hochland. Alles ist hier nass, die Luftfeuchtigkeit bei 90 bis 100 Prozent. Überall gedeihen Heide, Moos und Flechten. Selten habe ich so viele alte Bäume gesehen, die richtige Bärte aus Flechten tragen. Das sieht schon sehr verwunschen aus.
Im Abriachan Forest in der Nähe des Loch Laide stoßen wir auf eine groß angelegte Abenteuer- und Lernstation für Schulklassen, jedenfalls nehme ich an, dass es sich bei den bunten Hütten, Spielplätzen, Holzverzierungen um so etwas handelt. Hier rasten wir. Ansonsten macht es wenig Spaß, sich im Regen irgendwo an den Wegesrand zu setzen, um auszuruhen.
Der Regen wird stärker und es hat sich inzwischen auch ziemlich abgekühlt. Hilft auch nichts, darüber nachzudenken, dass es noch 17 km von hier sind. Waldwege wechseln sich mit Passagen auf einsamen Landstraßen ab, dann wieder ein Stück durch die Heide und weiter in den nächsten Wald.
Endlich endlich tauchen irgendwann Häuser im Dunst auf. Das erste Gebäude, das wir von Inverness sehen, ist ein viktorianisches Irrenhaus, das bezüglich seiner Dimension den Vergleich mit royalen Schlossanlagen nicht scheuen braucht. Von hier ist es dann noch einmal eine lange, nasse Stunde Fußweg bis zu unserer Unterkunft, die wir kurz nach drei erreichen … um festzustellen, dass uns dort niemand öffnet! Durchgefroren, nass bis auf die Haut und mit schmerzenden Füßen und Waden wäre dies ein guter Moment für einen kleinen Zusammenbruch. Aber das bringt ja jetzt auch keinen weiter. Einchecken geht wohl erst ab vier Uhr, also gehen wir weiter in die Innenstadt, finden ein Restaurant und essen Pizza. Meine ist mit Lammhackbällchen von den Hebriden, Minze und Frühlingszwiebeln. Sooo lecker!
Das Ivanhoe Guest House ist etwas für Freunde floraler Muster, der Gastgeber eher wortkarg und lächeln gehört nicht zu seinen Stärken, aber es ist trocken und warm, es gibt eine Dusche, einen Wasserkocher und Tee. Mehr braucht es nicht, um mich heute zufrieden zu machen.
Abends funktionieren die Beine wieder so gut, dass wir ins Hootananny gehen, weil dort wochentags Session ist. Und dort gibt es noch mehr Dinge, die mich glücklich machen: Pints of Cider, Tunes und Chips mit Curry Sauce kurz vor Mitternacht.
? – 35 km – 620 Hm – 5,2 km/h
Super Leistung!! Liebe Grüße auch an Anne,Olli:)))))
Gerade sitze ich in Oxford im Pub und habe die Remetamorphose vollzogen, also wieder in „Stadtklamotten“ und ohne Rucksack. Beine sind verwirrt ob des vielen Sitzens die letzten beiden Tage und ich frage mich, wer jetzt die Reste meines Steakpies essen soll. Ein bisschen wehmütig bin ich schon, das war sehr schön und eindrucksvoll da oben im Norden und ich kann gut verstehen, dass Jens sich diese Wanderung für sein großes Sabbatjahr-Projekt ausgesucht hat, auch wenn es einem wärmere Gefilde wohl leichter machen würden. Aber leichter ist ja eben nicht immer besser und das Gefühl von Autarkie inmitten dieser schroffen, abgelegenen Natur, die körperlichen und logistischen Herausforderungen und nicht zuletzt dies in angenehmer Gesellschaft mit anregenden Gesprächen und entspannt-meditativem Schweigen zu erleben, hat mich bereichert. Weiterhin eine gute Zeit, lieber Jens!