Zögerlich verlasse ich den Komfortbereich des Star & Garter. Die nächsten Tage gibt es keine Ausrede von wegen Ballungsraum, dicht besiedelt und keine Möglichkeit zum Campen: heute und morgen wird auf jeden Fall gezeltet. An der Falkirk Road, die mich aus Linlithgow herausführt, kehre ich noch in einem Aldi ein und decke mich mit Nüssen, Schokolade, Flatbreads und Käse ein. Vermutlich überkompensiere ich für den zu erwartenden Mangel an Geschäften weiter nördlich.
Kurz hinter Linlithgow folge ich dem Lauf der River Avon durch ein kleines Waldstück. Ich nehme an, das ist der Avon, der auch durch Stratford fließt, aber im Studium hab ich zwar gelernt, dass dort angeblich Shakespeare geboren ist, aber an ein Landeskundeseminar mit dem Schwerpunkt Flüsse Großbritanniens kann ich mich nicht erinnern.
Über das Avon Aqueduct erreiche ich den Union Canal, dem ich den Großteil des Tages Richtung Westen folgen werde. Es gibt auch eine Hausbootvermietung, aber das wäre ein anderer Urlaub. Der Weg am Kanal ist ein wenig eintönig, aber er ist gut befestigt, lässt sich prima gehen und Verlaufen ist praktisch ausgeschlossen.
In Falkirk gibt es einen Durchgang vom Kanalweg zu einem Tesco-Parkplatz und ich kann es mir nicht anders erklären als dass es eine Art Torschlusspanik ist: Ich muss da rein und obwohl es erst halb vor zwölf ist lieber mal zwei Steakpies essen. Wer weiß, wann es wieder was Warmes gibt. Im Gegensatz zu Freuds Unbehagen in der Kultur erfasst mich ein Unbehagen vor der Wildnis. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Triebunterdrückung und Schuldkomplex oder Kälte, Nässe und Hunger schlimmer finden soll.
Der offizielle Weg verlässt den Kanal und macht einen ziemlichen Umweg durch Falkirk, aber um etwas Abwechslung zu haben, folge ich der Schleife und werde mit einem Waldweg durch die Callendar Woods überrascht und belohnt.
Ansonsten ist Falkirk eher weniger spektakulär. Zurück am Kanal passiere ich den Bahnhof Falkirk High, wo der Weg über eine Brücke ans andere Ufer führt und dann durch ein Waldstück, vorbei an einem Reh, das statt wegzulaufen einfach fünf Meter neben dem Weg stehenbleibt zum Schlachtfeld des Battle of Falkirk. 18. Jahrhundert, königlich hannoveraner Truppen gegen die Jakobiter. Kann man woanders nachlesen, genauso wie den Battle of Linlithgow, den ich gestern schon bewusst unterschlagen habe. Während ich noch so über die Taktik der Highlander nachsinne, blinzelt die Sonne zwischen den Wolken durch und macht den Nieselregen – nein, das ist unpräzise, es ist eher wie sehr sehr feuchter Wind (bestimmt gibt es im Schottischen 400 Wörter für Regen)- fast angenehm. Ist gut für den Taint. Das weiß man ja.
Gegen zwei komme ich zum Falkirk Wheel, einem Wunderwerk schottischer Ingenieurskunst – wie mein Reiseführer wenig originell sicher sagen würde, wenn ich einen hätte. Da ich kein Ingenieur bin, verweise ich die Interessierten bescheiden auf den Wikipedia-Eintrag dieses rotierenden Bootsaufzugs. Jedenfalls sind über diesen Schifffahrstuhl der Union Canal und der Forth and Clyde Canal verbunden. Das wahre Wunder ist sowieso der große Latte, den ich mir im Visitor Centre gönne. Ich weiß nicht, was die Leute am Tisch gegenüber denken, aber ich kann mir ein langes wie breites Grinsen nicht verkneifen, als der heiße Kaffee fröhlich die Geschmacksrezeptoren meines Gaumens umspült.
Der Verlauf des JMW führt mich dann zur Antonine Wall – einem Ableger der bekannteren Hadrian’s Wall (und tatsächlich war dieser Kaiser Antonius ein Adoptivsohn Kaiser Hadrians). Hier an der nördlichen Grenze des römischen Reiches gab es wohl häufiger Meinungsverschiedenheiten mit den einheimischen Stämmen, sodass es angeraten schien, ein Fort und ausgebuffte Verteidigungsanlagen zu errichten.
In Bonniebridge stoße ich wieder auf den Kanal, muss allerdings feststellen, dass außer der Bridge hier nun wirklich gar nichts bonnie ist., was zugegebenermaßen auch am Regenwind liegen mag oder daran liegt, dass ich durch ein runtergekommenes Industriegebiet in die Stadt komme. Ich lasse den Ort schnell hinter mir und finde gegen 17 Uhr – wiederum auf dem Gelände des vormaligen Römerwalls – einen abgeschiedenen Ort für mein Zelt. Glücklicherweise lädt das Wetter nicht allzu sehr zu Freitagabendspaziergängen ein, sodass ich hoffe, relativ unentdeckt zu bleiben.
30 km – 374 Hm – 4,4 km/h
Jens, Du bist ein hoffnungsloser Fall. Ich hab jetzt den Wkipedia Artikel zum Schiffshebewerk gelesen und das Teil ist ja wohl total cool. Und es kann mal gar nicht sein, dass Du über einen Milchkaffee mehr zu sagen hast, als darüber.
btw: schickes Zelt.