Ich hab gaaanz viel Zeit heute Morgen, schließlich muss ich erst um 10 auschecken und heute Abend werde ich kein Hotelzimmer mehr haben, sondern im Zelt schlafen. Also lieber nochmal rumdrehen, irgendwann ausgiebig duschen, den Rucksack etwas effizienter packen, Tee kochen, Porridge zubereiten, Maniküre, Pediküre, die Haare schön machen … a pros pos Haare: Da die ja abrasiert sind, lasse ich gleich mal das Shampoo zurück. 50 Gramm weniger – bäääm!
Dank der vorabendlichen Planung finde ich einen guten Weg aus Eyemouth raus und bin gegen halb zehn wieder auf dem Weg. Die abwechslungsreichen Felsformationen der Klippenküste setzen sich fort, immer hübsch von der Sonne im Rücken in bestes Fotolicht getaucht.
Nach drei Meilen erreiche ich den Badestrand von St. Abbs. Hier führt der Weg eine Weile direkt auf dem Sandstrand entlang, was zwar nicht so toll zum Laufen ist, aber andererseits eine schöne Abwechslung. Besonders gefallen mir die bunten Hüttchen, die um diese Jahreszeit allerdings noch sturmfest verbarrikadiert sind.
Weil St. Abbs der einzige Ort mit Zivilisation ist, durch den ich heute kommen werde, beschließe ich im malerischen Hafencafé einzukehren und mir ein zweites Full Scottish Breakfast zu gönnen. Irgendwo müssen die Kalorien für so einen Wandertag ja auch herkommen. Auf einem Schild bei der Küche lese ich: ‚Dinner’s choice: 1. Take it 2. Leave it‘ So läuft das hier also. Da ich an einem der Tische draußen in der Sonne sitze, kann ich den knappen Austausch zweier Einheimischer mit anhören: „Summer‘s coming.“ – „Summer‘s here.“ Ich unterstelle den beiden aufgrund ihres Alters und vielleicht aufgrund eines gewissen Schubladendenkens meinerseits (der eine fährt einen Mülllaster, der andere hat eine Krebsreuse unter dem Arm), dass dies ohne jede bewusste Game-of-Thrones-Referenz geschieht.
Nachdem ich einen kurzen Schauer abgewartet habe, lasse ich St. Abbs hinter mir und laufe weiter Richtung Norden.
Der Weg wird hügeliger und führt nun erst etwas weiter ins Landesinnere über Schafweiden und auch eine Kuhweide. Während ich meinen Weg mit Schafen sehr gern teile, weil die zwar in Sachen Smalltalk nicht besonders gewandt sind, aber immer höflich zur Seite gehen, wenn ich komme, ist das bei den Kühen anders. Ich bin ganz froh, dass es hier ziemlich steil ist und die mich zwar mit großen Augen ansehen, aber weder Interesse noch die körperliche Fitness haben, mir zu nahe zu kommen.
Zurück an der Steilküste erreiche ich den Leuchtturm bei St. Abbs Head. Handy-Netz habe ich übrigens schon seit einer Weile nicht mehr und als ich einmal stolpere und auf allen Vieren lande, stelle ich mir kurz vor, wie ich mein Hab und Gut zurücklasse und mit gebrochenen Haxen zur nächsten Schaffarm robbe (wo auch immer die ist), um Hilfe zu erbitten. Ist aber ja nix passiert.
Die Sonne scheint, auch wenn es zwischendurch mal kurz fisselt und die Wolken Schlimmeres androhen, aber insgesamt ist das Wetter ziemlich perfekt. Nichtsdestotrotz ist es echt anstrengend, sich mit knapp 20kg auf dem Rücken die Berge hoch zu mühen und meine Beine fühlen sich an, als würden sie mal kurz einen Ausflug an ihre körperlichen Grenzen machen. Irgendwann ziehe ich den Rucksack ab, die Schuhe aus und lege ich mich einfach zwischen Schafen und Ginsterbüschen auf die Wiese, genieße die Aussicht und bin sehr sehr dankbar, dass ich diese Wanderung hier machen kann. Auch auf die erste Nacht im Zelt freue ich mich inzwischen richtig. Endlich das ganze Equipment mal im Ernstfall ausprobieren. Dowlaw, mein heutiges Ziel, ist gar kein Ort, sondern ein relativ großer Bauernhof mit Parkplatz etwa einen Kilometer von der Küste entfernt – zumindest sah das auf den Satellitenbildern so aus. Da werde ich jedenfalls keine Schwierigkeiten haben, einen Zeltplatz zu finden.
Gegen drei Uhr überquere den Dowlaw Burn, einen kleinen Bach, ab dem ich mir vorgenommen habe, den Coastal Path zu verlassen und querfeldein Richtung Nordsee zu laufen, um einen windgeschützten Platz mit dennoch möglichst spektakulärer Aussicht für mein Nachtlager zu suchen.
Nachdem das Zelt aufgebaut ist, was bei diesem Wind und in Anbetracht der Tatsache, dass ich es erst einmal zuvor ausprobiert habe, gar nicht mal so ganz besonders elegant gelingt, will ich es mir gerade gemütlich machen, als ein Quad den Hügel herunter kommt. Ich frage den Fahrer, den ich für den Schaffarmer halte, ob ich hier zelten dürfe, worauf dieser sagt, ich hätte in Schottland das Recht, überall zu zelten. Ja, weiß ich. Ist aber doch trotzdem nett zu fragen, wenn man den Besitzer des Zeltplatzes trifft, oder? Er warnt mich vorsorglich noch vor den Dachsen, die es hier zuhauf gebe und fragt, ob ich schlafwandle – das sei in unmittelbarer Nähe der Steilküste nicht so günstig. Ok, das war witzig.
Als er die zwei Gatter, wegen derer er gekommen ist, aufgeladen hat und weggefahren ist, laufe ich zu den Klippen hinunter, wo laut Karte die Überreste von Fast Castle zu finden sein müssen. Ich passe auf, nicht vom Wind ins Meer geblasen zu werden und klettere ein wenig auf den Felsen um die Ruine herum.
Abends gibts Tütenessen und Proteinriegel. Als die Sonne langsam untergeht und ich ins Zelt krieche, überkommt mich ein Glücksgefühl, dass ich mich ein bisschen schütteln muss. Ich bin so dankbar für das gute Wetter bisher, meine Eltern, die auf die Kinder aufpassen, und jetzt auch für gutes 3G-Wifi, um meinen Blog-Beitrag samt Fotos hochladen zu können.
Strecke: 16,5km, 719 Höhenmeter, 2,9 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit
Hallo Jens, es amüsiert mich, dass Du nach unseren stürmischen Nächten an der Irishen Küste, wegfliegenden Zelten und Nächten zu viert im Fiesta, mal wieder Dein Zelt an der Küste aufschlägst…ganz ohne Zuflucht.
Dafür diesesmal mit GPS..
Vielleicht lesen Gamspichler und Ted den Blog ja auch!
Gute Reise
Glück, Dankbarkeit und Freude kommen beim Lesen auch hier in Deutschland an, Reibungsverluste scheinen mir trotz der langen Strecke gering zu sein. Danke, dass ich teilhaben darf.